5 Min. aktualisiert am 26.01.2022

BGV Family

Das Abendritual: Vorlesen verzaubert

„Noch ein bisschen weiterlesen, ja?“ – die Augen schon schlafschwer, will das Kind gerne noch wissen, wie die Geschichte weitergeht. Vorlesen schafft magische Momente und ist ein wichtiges Ritual für Eltern und Kinder.

Deshalb ist Vorlesen für Kinder so wichtig

Vorlesen – und vor allem vorgelesen zu bekommen – macht den meisten Kindern großen Spaß. Sie spüren die Nähe, das vertraute Ritual und die Zeit, die sich Eltern oder andere liebevolle Verwandte für sie nehmen. Eine aufregende oder lustige Geschichte zu hören, gehört zu den einfachen und wichtigen Freuden.

Aber das Vorlesen hilft Kindern auch, über Dinge und neue Themen nachzudenken. Es gibt Anknüpfungspunkte, sie können mit den Eltern oder Geschwistern darüber sprechen, was sie beschäftigt. Außerdem üben Kinder den Gebrauch von Sprache – sie hören die Geschichte und sprechen vielleicht darüber. Ihnen wird bewusst, wie wichtig Sprache und Schrift zum Verständigen mit anderen sind. „Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wurde, lesen selbst später lieber und häufiger als Kinder ohne diese Erfahrung. Lesemotivation und Lesepraxis verstärken die Lesefähigkeiten, über die sich Vorlesen indirekt auch auf den Schulerfolg auswirkt: Kinder, denen vorgelesen wurde, haben tendenziell bessere Noten, denn in allen Fächern sind gute Lesefähigkeiten wichtig“, erläutert Prof. Dr. Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen.

Hören Sie im BGV meine Family Podcast: Warum das regelmäßige Vorlesen für Kinder so wichtig ist

Warum das Vorlesen für Kinder so wichtig ist und welche Auswirkungen es auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kleinen hat, klären wir in dieser Podcast-Folge mit Simone Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung. Außerdem begleiten wir den Vorleser Peter Lemke, der uns Vorlese-Tipps gibt und erklärt, worauf wir bei der Wahl der Geschichten für unsere Kinder achten können.

So sollten Eltern am besten vorlesen

Jedes Kind ist anders, kann sich länger oder kürzer konzentrieren, hat andere Vorlieben. Sie merken schon an seiner Reaktion und an seinen Wünschen, was ihm guttut. Als Faustregel gilt: 15 bis 30 Minuten sind für kleinere Kinder ein schöner Zeitraum, um gemeinsam ein Buch anzusehen, etwas vorzulesen und nach einem langen Tag einen vertrauten Moment miteinander zu verbringen. Mit steigendem Alter und mit der Einschulung steigt die Konzentrationsfähigkeit. Dann heißt es oft: „Noch ein Kapitel bitte!“

Lustig und spannend dürfen die Stoffe sein, aber nicht allzu viel Aufregung oder Grusel verursachen – sonst wird es mit dem Einschlafen später schwierig.

Und: Vorlesen hat sich nicht erledigt, wenn Kinder selbst lesen können. Das Vorleseritual vor dem Schlafengehen schafft emotionale Sicherheit und stärkt die Eltern-Kind-Bindung.

Geschichten für Kinder zum Vorlesen finden

Und was eignet sich besonders zum Vorlesen? Vielleicht erinnern sich Eltern noch an ihr eigenes Lieblingsbuch. Die Kleine Raupe Nimmersatt zum Beispiel bringt Menschen aller Altersgruppen zum Schmunzeln. Aber natürlich stehen die Wünsche der Kinder im Mittelpunkt bei der Auswahl. Anregung und Beratung gibt es in der Bibliothek und in der Buchhandlung oder beim Büchertausch in der Nachbarschaft. Tipps und Vorlesegeschichten halten spezielle Seiten wie zum Beispiel stiftunglesen.de oder einfachvorlesen.de parat.

Keine Sorge, es ist normal, wenn Kinder eine Geschichte wieder und wieder hören wollen. Einfach machen, bis das Signal kommt, dass sie für neue Inhalte bereit sind. Vielleicht steht ja die Geburt eines Geschwisterkindes an, ein Umzug oder andere Veränderungen? Auch hier können Bücher und Geschichten den Kindern helfen, einen Zugang zum Thema zu finden.

Das hilft, wenn man nicht gerne liest

Manche Erwachsene fühlen sich von dem ganzen Vorlese-Thema überfordert. Und dafür gibt es viele nachvollziehbare Gründe. Nicht alle Eltern sind in Lese-Haushalten aufgewachsen. Bücher auszusuchen, zu kaufen und vorzulesen kann eine ungewohnte Rolle sein. Andere können einfach nicht gut lesen – immerhin ist jeder Zehnte in Deutschland funktionaler Analphabet. Das bedeutet, dass man einzelne Wörter entziffern kann, nicht aber Texte flüssig lesen und verstehen. Andere Eltern haben Schichtdienst, mehrere Jobs oder andere Zeitnot und können sich abends nicht Zeit fürs Kind – oder die Kinder – nehmen. Wiederum andere haben hohe Ansprüche und denken, sie müssten Texte besonders gut vortragen.

„Schon einige Minuten am Tag genügen, zum Beispiel vor dem Schlafengehen, und Eltern müssen sich nicht verstellen. Es geht um die gemeinsame Zeit mit den Kindern. Zu Bilderbüchern oder Fotos lassen sich in jeder Sprache Geschichten erzählen“, ermutigt Prof. Ehmig. Eine tolle Alternative sind Vorleseangebote außerhalb der Familie, zum Beispiel in Kita und Kindergarten, in Bibliotheken oder anderen Einrichtungen. Viele Menschen engagieren sich als Lesepatin oder Lesepate, weil sie die Freude an Geschichten an den Nachwuchs weitergeben wollen. Im November gibt es den deutschlandweiten Vorlesetag.

Unter netzwerkvorlesen.de finden sich Möglichkeiten zum Engagement – vielleicht haben Sie ja Lust und Zeit oder kennen eine Person, die Freude daran hätte? Dann weitersagen!

So können mehrsprachige Familien vorlesen

Rund jedes dritte Kind in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Viele von ihnen wachsen mit mehreren Sprachen auf, genauso wie bei Paaren, die aus unterschiedlichen Ländern stammen. In Familien, in denen mehrere Sprachen gesprochen werden, kann die Frage aufkommen, ob es besser ist, in der einen oder anderen Sprache vorzulesen. Grundsätzlich: Die Zeit vor dem Schlafengehen ist keine pädagogische. Ganz im Gegenteil, es ist ein gemütlicher Moment, den Kinder genießen. Deshalb kann man hier intuitiv vorgehen.

Über Bilderbücher oder Wimmelbilder kann man in jeder Sprache sprechen. Später, wenn es ums klassische Vorlesen geht, spielt die Auswahl von Buch und Sprache eine Rolle. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften empfiehlt, die Mehrsprachigkeit als etwas Positives zu begreifen und in verschiedenen Sprachen vorzulesen. Zunehmend gibt es auch mehrsprachige Kinderbücher, die eine Brücke zwischen beiden Sprachen bilden.

Vorlesen mit Kinderbuch-Apps

Manche Kinder sind versessen auf Tablets und Mobiltelefone. Und die kann man nicht zur zum Spielen und Anschauen von Videos nutzen, sondern auch zum Vorlesen. Es gibt Kinderbuch-Apps mit zusätzlichen interaktiven Möglichkeiten wie Animationen oder dem Aufnehmen des Vorgelesenen zum Beispiel. Die Seite lesenmit.app steckt voller Hinweise auf Vorlese- und Lese-Apps und wie man sie auch mit kleineren Kindern richtig nutzen kann. Oben rechts führt ein Link auf Informationen in leichter Sprache.

Im November: bundesweiter Vorlesetag

Immer am dritten Freitag im November findet der Vorlesetag in ganz Deutschland statt. Erwachsene lesen dann vor – in Schulen, Vereinen, Bibliotheken, Buchhandlungen ... Jeder kann mitmachen. Für angemeldete Grundschulen gibt es zur Durchführung eines Vorlesetags Buchpakete. Buchempfehlungen und eine Suchfunktion für die Veranstaltungen in der eigenen Stadt gibt es unter www.vorlesetag.de